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Interview (Musik)Blättern: Vorheriger Artikel | Nächster Artikel

ERDLING: Musik leben und atmen

Das neue Erdling-Album Helheim ist mittlerweile erschienen. Bereits im Herbst hatte ich die Ehre, dazu eine Story für das Legacy zu verfassen, und in diesem Zusammenhang habe ich Gründer und Frontmann Neill Freiwald einer ausführlichen Befragung unterzogen. Weite Strecken des besagten Interviews habe ich nun für Euch aufgearbeitet:

Otti:
Gerade im Angesicht der Pandemie hat sich vieles verändert - in Bezug auf die Arbeiten an Eurem neuen Album Helheim, welchen Einfluss hatte Covid auf das Songwriting und die Aufnahmen?

Neill:
Covid hatte erheblichen Einfluss auf das Songwriting - die ganze Pandemiezeit und der Umgang damit hat viele Schattenseiten der Menschheit demaskiert, was gutes Futter für dieses Album war - es hatte aber auch die Konsequenz, dass dieses Album eine entsprechende Stimmung aufweist.

Wir haben mit den Aufnahmen gut timen müssen, dass wir überhaupt im Studio präsent sein können - uns also auch mit vielen Regeln auseinandersetzen müssen. Hinzu kommt, dass wir eine Band sind, die nicht in einer Stadt, sondern auf ganz Deutschland verteilt wohnt. Wir hatten uns zeitweise über ein Jahr lang nicht gesehen, während ich die gesamte Vorproduktion mit Chris Harms im Teleworking gemacht habe. Fast alles spielte sich nur in meinem Heimstudio ab - das ist ungewohnt und ich will mich auch nicht daran gewöhnen.

Erdling
"Ich brauche nicht viel in meinem Leben - nur meine Frau, meine Haustiere und meine Musik, in der ich mich verlieren kann.

Otti:
2020 habt Ihr mit Yggdrasil ein Album veröffentlicht, welches Ihr zumindest durch Konzerte kaum promoten konntet. Was hat Euch bewogen, dennoch direkt einen Longplayer nachzuschieben?

Neill:
Wir konnten tatsächlich gerade noch so unsere Tournee zum Album spielen, der Lockdown kam erst einen Monat später. Allerdings durchkreuzte das trotzdem unsere Pläne für die Jubiläumstour, die Teil der Yggdrasil-Promo war. Wir hatten also 2 Monate nach Release einen relativ harten Cut, das hat jedoch dem Erfolg des Albums keinen Abbruch getan - im Gegenteil: Yggdrasil ist unser bislang erfolgreichstes Album. Die Situation hat es allerdings nahegelegt, ein neues Album nachzuschieben, denn Konzerte waren und sind zum jetzigen Punkt nicht für uns machbar - ich wollte als Künstler nicht vermodern und habe die übrige Energie in neues Material gesteckt.

Otti:
Soweit ich das aktuell überblicken kann, greift auch Helheim verschiedene Elemente aus der nordischen Mythologie auf. Wie habt Ihr Euch mit dieser im Vorfeld befasst, und was hat dann dazu geführt, dazu Musik zu verfassen?

Neill:
Bands wie Ensiferum, Finntroll, oder auch Tyr, haben früh meinen Musikgeschmack geprägt - das war einfach in den 00ern meine Musik. Deshalb war das auch ein Thema, das mich schon immer interessiert und beeinflusst hat. 2007 spielte ich sogar Gitarre in einer Paganband, die den Sprung aus dem Proberaum nie so recht geschafft hat. Der "Yggdrasil" als Bandemblem war zwar schon bereits seit Bandgründung mit an Bord, die Symbolik haben wir aber erst mit dem gleichnamige Album wirklich aufgegriffen. Damit habe ich mir den persönlichen Wunsch erfüllt, mich nach so vielen Jahren wieder musikalisch mit der nordischen Mythologie auseinanderzusetzen. Vielleicht nicht als Pagan-Band, aber sicherlich als Erdling mit entsprechenden Einflüssen. Das ist also etwas sehr Persönliches und Großartiges. Von Vikings habe ich übrigens nur zwei Staffeln gesehen - war nicht ganz so meins - da fand ich übrigens The Last Kingdom im Vergleich besser, wenn wir schon dabei sind, dass die nordische Mythologie in den letzten Jahren nicht nur bei uns ein Comeback hatte. ;-)

Otti:
Da mir noch sämtliche Hintergrundinformationen fehlen: Handelt es sich um eine zusammenhängende Geschichte, gar ein Konzeptalbum? Und wie knüpft Helheim konkret an Yggdrasil an?

Neill:
Nein, ein Konzeptalbum ist das nicht. Auf Helheim sind wir deutlich variabler. Wo Yggdrasil eher ein ziemliches "Knüppelalbum" ist, fahren wir bei Helheim auf ganz unterschiedlichen Stufen. Einige Tracks knüpfen gewiss an das letzte Werk an, andere erinnern vielleicht mehr an unsere ersten beiden Alben.

Wie eingangs erwähnt war die Pandemie hier der lyrische Impulsgeber, und das emotionale "auf und ab" kommt bei fast allen Songs - aber auch im Gesamtbild - zum Tragen.

Otti:
Dass Ihr das Album nach dem Reich der Totengöttin "Hel" benannt habt, kommt sicher nicht von ungefähr. Welche besondere Bedeutung hat "Helheim" als Begriff/Idee für Euch?

Neill:
Geht man nach den üblichen Quellen (Edda), hielt man "Helheim" für ein sehr düsteres und ruhmloses Jenseits, in welchem all diejenigen landen, die eben NICHT ehrenvoll auf dem Schlachtfeld verstarben. Auch Mörder und Kranke fristen dort ihr Exil. Das passt leider sehr gut in unsere Zeit, insbesondere jetzt.

Helheim ist für mich ein Album, das die leistungsorientierte Gesellschaft anprangert, in der Schwache keinen Anschluss finden. Wo die Erde ausgeschlachtet wird und zu einem düsteren, trostlosen Ort verkommt. Wo Menschen, die nicht leisten können, in Vergessenheit geraten. Wo psychisch Kranke keinen Halt finden, weil sie immer nicht verstanden werden. Wo Empathie generell keine Rolle spielt. Ich könnte das jetzt ewig fortführen, aber um es zusammenzufassen: es geht nicht um Wikinger, nicht um das nordische Pantheon und auch nicht um Metsaufen in Valhalla - es geht darum, dass ich finde, dass der Mensch diese Erde nicht verdient hat und dies gerade in der Pandemie wieder besonders gut unter Beweis gestellt hat. Diese Welt ist auf dem besten Weg zu einem realen "Helheim" zu verkommen - jedenfalls für mich. Darauf will ich aufmerksam machen.

Otti:
Für Fimbulwinter habt Ihr Julie Elven als Gastsängerin gewonnen - wie kam es zu dieser Kollaboration?

Neill:
Das war eine der besten und schönsten Zusammenarbeiten, die ich je erlebt habe. Julie ist vor allem als die Stimme diverser Game-Soundtracks bekannt - und ich bin eben ein passionierter Gamer. Sie sang auf Scores von Horizon Zero Dawn, League of Legends, World of Warcraft - große und bekannte Themen eben.

Als ich sie kontaktierte, um sie auf meinem Twitch-Kanal zu interviewen, ergab sich relativ schnell ein toller Austausch zwischen uns. Nur wenige Wochen später haben wir dann den Song über Zoom-Sessions realisiert und das war wirklich atemberaubend. Auf keinen Song bin ich so stolz wie auf diesen.

Otti:
Was ist die konkrete Geschichte hinter diesem Lied?

Neill:
Der Song entstand im Januar 2021, als die Pandemie (ich hasse dieses Wort langsam) ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Wir saßen alle zuhause und ich war in meinem beschaulichen Erzgebirgs-Dorf teils metertief eingeschneit. Ich ging tagelang kaum vor die Tür, höchstens mal, um meine Hunde durch die Schneemassen fräsen zu lassen und schnell wieder herein. Meine Depression erreichte auch dort wieder eine ziemlich schwierige Episode. Es fühlte sich eben an wie ein Fimbulwinter, einem Vorboten des Weltenendes. Ich fühlte mich als selbstständiger Künstler komplett alleingelassen - nicht nur von der Politik, sondern auch von der Gesellschaft.

Viele Menschen haben in dieser Zeit bewiesen, dass Musik ihnen nichts wert ist, dass Kultur ein "verzichtbarer" Luxus ist. Für mich ist sie das nicht... ich lebe und atme für die Musik. Ich brauche nicht viel in meinem Leben - nur meine Frau, meine Haustiere und meine Musik, in der ich mich verlieren kann. Ich lebe nicht auf großem Fuß, mir reichen Basics - das hat jahrelang gut funktioniert - und dann war all das plötzlich gebremst, eingefroren. Wenn die Musik einfriert, friere ich mit ein. Wenn es nur noch in Helheim eine Bühne gäbe - ich würde freiwillig sterben, um dort spielen zu können.

Otti:
Gibt es ansonsten einen bestimmten Song, der eine ganz besondere Bedeutung für Dich hat? Wie schaut diese aus?

Neill:
Der Mensch verdient die Erde nicht ist vermutlich einer der direktesten und lyrisch aggressivsten Songs, die ich je geschrieben habe. Das Stück entstand auch in einem ziemlichen Wut-Momentum, als es mal wieder eine regionale Debatte über Wolfsbestände in Sachsen gab. Das hat mich total getriggert.

Da geht´s für mich einfach um menschliche Grundzüge, die ich als falsch und ekelhaft empfinde. Der Umgang der Menschheit mit ihrer Wiege widert mich an. Darum geht es in diesem Stück - und ich freue mich, wenn es endlich veröffentlicht wird. :-)

Otti:
Nach aktuellem Stand geht Ihr im März mit Helheim auf Tour. Wieviel Zuversicht und Hoffnung gesteht Ihr Euch selbst dahingehend zu, dass diese Konzerte ohne Einschränkungen stattfinden können?

Neill:
Ich mache mir darüber eigentlich keine Gedanken, sonst werde ich instabil. In diesem Winter wird sich entscheiden, wohin die Reise geht - ich will da keine Prognosen wagen. Von Infektionsdynamik, Hygienekonzepten und Politik verstehe ich zu wenig - ich verstehe was von Melodien und da bin ich der Schuster, der bei seinen Leisten bleibt.

Als all das im Frühjahr 2020 losging, hätte ich niemals gedacht, dass ich zwei Jahre nicht spielen würde und ich bewundere Kollegen, die ihren Ehrgeiz noch nicht verloren haben.

Ich kann nur den Wunsch äußern, dass wir als Band (und damit spreche ich für sämtliche Bands) nicht vergessen werden. Der Tag wird kommen, an dem wir wieder spielen und da wünsche ich mir den größten Abriss aller Zeiten für. Wenn er im März für uns kommt, dann freue ich mich darauf.

Aber tatsächlich wäre ich schon gar nicht mehr enttäuscht, wenn wir nochmal schieben müssten - man gewöhnt sich ja eben doch daran. Grausam, oder?

Otti:
Gibt es da auch Zweifel Eurerseits, was die Nähe zu den Fans angeht, mit Hinblick auf Covid?

Neill:
Auf keinen Fall. Ich weiß, dass die Nähe, die wir gewöhnt sind, zurückkehren wird. Zudem bin ich über meine Livestreams während der Lockdowns mehr in Kontakt zu meinen Fans gekommen als je zuvor.

Ich denke sogar, dass es noch intensiver sein wird, wenn es wieder "richtig" losgeht. Wer uns wirklich unterstützen möchte, wird das auch weiterhin tun.

Allerdings wünsche ich mir dann auch Konzerte ohne Einschränkungen. Da bin ich nicht wirklich kompromissbereit - und wenn ich länger warten muss, um schweißtreibende Konzerte in engen Clubs zu spielen, dann bin ich gerne bereit dazu.

Otti:
Auf was freut Ihr Euch auf der anderen Seite am meisten bezüglich der Tour?

Neill:
Ich freue mich, wieder mit meiner Tourfamilie unterwegs zu sein - das Gefühl zu haben, gebraucht zu werden und nicht "verzichtbar" zu sein.

Diese paar Wochen Ausnahmezustand und die glücklichen Gesichter der Fans. Das fehlt mir ungemein.

Otti:
Und gibt es schon Pläne, wie es musikalisch und inhaltlich nach Helheim weitergeht?

Neill:
Tatsächlich nicht. Wir konzentrieren uns jetzt voll auf diese Veröffentlichung und darauf, wie es weitergeht. Ich denke, wenn die Tour 2022 stattfindet, dann kann man weitersehen.

Aber ja, es entstehen schon wieder neue Songs. :-)

Website;
erdling.rocks5

Art des Interviews: Email
12/10/21 by Otti
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